Irgendwie bin ich mit meinem Blog gestartet und war durch Corona gleich mittendrin im Thema: „Umgang mit Gefühlen“ und den besonderen Herausforderungen dieser Zeit.

Die Idee, Achtsamkeit und Demenz thematisch miteinander zu verbinden, ist fast ein wenig in den Hintergrund geraten, habe ich doch einfach auf Themen reagiert, die sich plötzlich, aufgrund der momentanen Lage, in meinen Fokus geschoben haben.

Nach Jon Kabat Zinn bedeutet Achtsamkeit: „…auf eine bestimmte Weise achtgebend bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und nicht urteilend zu sein“.

Von „nicht urteilend“ war ich in den letzten Wochen zeitweise sehr weit entfernt. Langsam komme ich zur Ruhe, komme an im gegenwärtigen Augenblick und so kann ich heute hier sitzen und mich besinnen, was war die Idee, was will ich schreiben, was will ich in die Welt bringen?

 

Eine Idee war es über Demenz zu schreiben und darüber, wie Achtsamkeit hier hilfreich sein kann!

 

Es soll auf meinem Blog nicht nur um eine Definition von Demenz und um allgemeine Hinweise zu der Erkrankung und dem Umgang damit gehen. Demenz hat so viele Facetten. Jeder Mensch ist einzigartig und hat seinen eigenen Charakter. Und so entwickelt sich auch die Erkrankung, ganz individuell.

In meinen Vorträgen und Schulungen sage ich immer: kennst Du einen Menschen mit Demenz, kennst Du EINEN Menschen mit Demenz.

Wir verallgemeinern und versuchen Menschen in ein Schema zu pressen. Ich fürchte, dass passiert, damit wir irgendwie ein Gefühl von Kontrolle behalten.

Wir wünschen uns so sehr, eine Handlungsanweisung zu bekommen: Nehmen Sie Umgangsweise A und Medikament B und drücken Sie für 3 Sekunden auf die Nasenspitze des Patienten, dann wird der Patient 12 Stunden am Stück schlafen und nie wieder Aggressionen zeigen.

Wir alle wissen, dass es so nicht geht.

 

Aber genau das erhoffen wir uns – irgendwie. Zumindest treffe ich immer mal wieder auf pflegende Angehörige, die zu jedem Vortrag und jedem Kurs kommen und irgendwie immer auf das Patentrezept hoffen. Und es wäre ja auch so schön! Im Gespräch fällt mir dann jedoch häufig auf, dass manche Probleme nicht unbedingt (nur) in der Erkrankung begründet sind, sondern dass es vielleicht schon immer einen Kommunikationsstil in der Familie gab, der zu Vorwürfen, Streit und Trennung geführt hat.

Da treffen eben Menschen auf Menschen!

Menschen mit Demenz treffen auf Menschen, die sie begleiten und pflegen.

Menschen egal, ob krank oder gesund kommen mit ihrer eigenen Geschichte daher. Wir alle sind nicht objektiv. Wir sind IMMER subjektiv. Wir beschreiben die Handlungsweisen von Menschen durch unsere subjektive Brille.

Die Dinge, die passieren und die Symptome der Erkrankung werden zum Problem, wenn das System in dem die erkrankte Person lebt, es anders haben möchte, als es gerade ist und/oder wenn das  Verhalten dazu führt, dass der Erkrankte sich oder andere gefährdet. Meine Angebote richten sich grundsätzlich an Personen und Einrichtungen, die sich um das Wohlergehen von Menschen mit Demenz bemühen. Ich möchte mit meinem Wissen dazu beitragen, dass Sie als Angehörige*r eines Menschen mit Demenz und als beruflich Pflegende*r  im Gleichgewicht bleiben.

Ich möchte Sie darin unterstützen, die Begleitung von Menschen mit Demenz so zu gestalten, dass die Lebensqualität von Menschen mit Demenz und Ihre eigene erhalten bleiben!

Und ich mache die Erfahrung, dass es zunächst einmal hilfreich ist, möglichst viel über das Gehirn zu wissen und über Kommunikation, denn:

Wissen ist Macht!

Deswegen wird es in den nächsten Blogbeiträgen auch darum gehen, zu erklären, wie unser Gehirn funktioniert, was da passiert und was das für Auswirkungen auf unser Verhalten hat.

Grundsätzliche Informationen zu den verschiedenen Demenzformen und dem Erkrankungsverlauf, zu Zahlen, Daten und Fakten erhalten Sie beispielweise auf der Seite der Deutschen Alzheimer Gesellschaft unter https://www.deutsche-alzheimer.de/

Wenn wir verstehen, warum Menschen mit Demenz sich gegebenenfalls auf eine bestimmte Art und Weise verhalten und warum es bei uns auslöst, was es auslöst, können wir häufig schon viel gelassener mit bestimmten Dingen umgehen. Wenn ich verstehe, dass der Mensch in Not ist, Angst hat und nicht MICH als Person meint und beschuldigt, dann kann ich unter Umständen anders reagieren.

Durch Achtsamkeit schaffe ich es im besten Fall, eine kleine Lücke zwischen den Reiz und meine Reaktion zu bringen. Das bringt mir eine neue Entscheidungsfreiheit. Wenn ich über mein Verhalten, meine Reaktion entscheiden kann, reagiere ich vielleicht anders und  schaffe damit eine neue Situation, die wiederum Raum lässt für:

Eine andere Art der Begegnung.

Die größte Chance liegt nach meiner persönlichen Erfahrung darin, mich damit zu befassen, warum mir bestimmte Themen so zu schaffen machen. Natürlich gibt es objektiv belastende Situationen, wie beispielsweise nächtliche Unruhe der erkrankten Person, die dazu führen kann, dass ich nicht ausreichend Schlaf bekomme.

Aber in den Beratungen höre ich immer wieder, dass es oft…

eher die „Kleinigkeiten“ sind

…die dazu führen, dass die pflegende Person ungeduldig wird und dass dauerhaft Stress entsteht.

Wie bei Frau Günther (Namen geändert).  Da war es das falsch geknöpfte Hemd, dass sie immer wieder dazu brachte, ungeduldig am Hemd des Ehemannes rumzuzerren. Sie erklärte ihm dann jedes Mal, dass er so keinesfalls raus gehen könne. Herr Günther wurde dann sehr ungeduldig und versuchte die Hand seiner Frau wegzuschlagen. Einmal schubste er sie dabei und verließ dann das Haus.

Frau Günther kam zu mir und sagte, ihr Mann sei so aggressiv. Wir schauten uns die Situation genauer an. Wir alle haben unsere Bedürfnisse. Und wir versuchen uns diese Bedürfnisse zu erfüllen. Neben unseren Grundbedürfnissen sind da unter anderem die Bedürfnisse nach Sicherheit,  Autonomie und nach Selbstverwirklichung. Herr Günther war jahrelang im Vertrieb einer großen Versicherung tätig.  Sein Aussehen und die korrekt gebundene Krawatte waren ihm immer wichtig. Frau Günther war damals stolz auf ihren Mann.

Nun waren aufgrund der Demenz Nervenzellen untergangen, die die Feinmotorik betreffen. Bereiche waren betroffen, in denen das planerische Handeln liegt und auch Bereiche, die zuständig sind für die Selbstreflexion.

Bedingt durch diese Veränderungen im Gehirn war es Herrn Günther zum einen nicht mehr wichtig, wie sein Hemd geknöpft war, zum anderen konnte er es nicht mehr umsetzen. Es war für ihn eine große Herausforderung. Kam er nun nach all der Mühe aus dem Badezimmer, wurde ihm durch das Verhalten seiner Frau bewusst, dass er es nicht richtig gemacht hatte. Sein Bewusstsein für das Rollengefüge war aber noch intakt, so war ihm das Verhalten seiner Frau zumindest befremdlich. Die Kommunikationsfähigkeit allerdings war bereits soweit eingeschränkt, dass er dies nicht mehr artikulieren konnte. Statt also zu sagen, was fällt Dir ein, lass mich und mein Hemd in Ruhe, hat er eine abwehrende Geste gemacht und die Hand seiner Frau weggeschlagen.

Im Coaching haben wir uns diese Szene genauer angeschaut. Für unser Gehirn ist es völlig egal, ob wir die Szene gerade jetzt erleben oder ob es schon einige Tage oder gar Jahre her ist. Und es fühlt sich nicht nur realistisch an, sondern es werden die gleichen Regionen in unserem Gehirn aktiv und somit werden die gleichen Stresshormone ausgeschüttet.

Das heißt, nicht nur die realen Situationen in unserm Alltag sorgen für Stress, sondern auch, wenn wir diese Situationen in Wort und Bild in unserem Kopf wieder und wieder erleben und erzählen.

Frau Günther schloss die Augen und ich bat sie, sich die Szene vorzustellen und mir zu berichten, was in Ihrem Körper passiert, wenn sie ihren Mann in dem falsch geknöpften Hemd vor sich sah. Sie sagte, dann wird es eng in der Brust, das Herz schlägt ganz schnell. Sie berichtete, dass, wenn sie ihren Mann anschaute und sie das falsch geknöpften Hemd vor ihrem inneren Auge sah, dies sinnbildlich für alle Verluste stand, die sie und ihr Mann erleiden mussten und sie sah eine beängstigende Zukunft vor sich.

Das alles passiert blitzschnell in unserem Gehirn.

Ein Bild, ein Satz, ein Wort kann auslösen, dass Hirnregionen unser Handeln steuern, die wir willentlich nicht beeinflussen können. Dann übernehmen ältere Strukturen unseres Gehirns die Regie. Unser Köper macht sich bereit für den Kampf oder die Flucht. Und dann gibt ein Wort das andere und die Situation eskaliert.

Frau Günther kann die Erkrankung ihres Mannes leider nicht rückgängig machen. Sie kann lediglich an dem eigenen Umgang damit arbeiten. In einem Coaching schauen wir uns die Situation an und erarbeiten Handlungsoptionen. Gemeinsam erarbeiten wir Regulationstechniken. Im Fall von Frau Günther war es wichtig zu begreifen, was sie alles für schlimme Szenarien in ihrem Kopf hatte und wieviel es ihr bedeutete, dass ihr Mann auch vom Außen immer noch als „kompetenter Versicherungsmakler“ wahrgenommen wird. Es war ihr schlicht nicht bewusst, dass da ganze Filme vor dem inneren Auge abliefen und dass diese dazu führten, dass andere Hirnregionen die Regie übernommen haben.

Dieses Wissen befreite sie von dem Gefühl der „Schuld“  – immer wieder so „falsch“ zu reagieren. Gemeinsam haben wir uns verschiedene Handlungsoptionen erarbeitet. Je nach Situation kann sie somit unterschiedlich reagieren, je nach dem, was ihre Nerven, die Situation und die Tagesform ihres Mannes zulassen.

Das, was hier so kurz zusammengefasst ist, ist ein Prozess, der Mut erfordert. Jede*r, die/der diese Arbeit tut, stellt sich auch den unangenehmen Erinnerungen und den Ängsten und den häufig überholten Rollenerwartungen.

ABER: es ist auch so viel zu gewinnen!

Frei von alten Handlungsmustern und Ängsten, kann ich Beziehungen neu gestalten und Lebensqualität für mich und die Menschen, die ich begleite, gewinnen.

Haben Sie den Mut? Dann melden Sie sich gerne! Ich freue mich auf Sie!

Dieser Beitrag als Podcast zum Anhören für Sie

von Silke Steinke

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