Normal trauern – wie soll das denn gehen?

Wenn man einen geliebten Menschen verliert, dann gibt es keine richtige und keine falsche Art, um zu trauern.

In meinem eigenen Leben und im Leben meiner Klient*innen kann ich immer wieder beobachten, wie schwer wir uns mit einer „angemessenen“ Trauerkultur tun.

Im ICD 11, dem kommenden, internationalen Klassifikationssystem für psychische Störungen, wird die „anhaltende Trauerstörung“ aufgenommen. Die Diagnose beschreibt eine psychische Störung, bei der ein Hinterbliebener in „Folge eines schwerwiegenden Verlustes (meist Tod einer nahestehenden Person) eine pathologische Trauerreaktion entwickelt“. Die Störung kann u.a. festgestellt werden, wenn die Trauersymptome länger als 6 Monate anhalten.

Nun kann man diese Einteilung in „gesunde“ und „krankhafte“ Reaktionen auf einen Verlust von zwei Seiten sehen:

Zum einen hat ein Mensch, der unter seiner Trauer leidet, mit dieser Diagnose“erteilung“ die Möglichkeit sich, über die Krankenkasse finanzierte therapeutische Hilfe zu suchen, zum anderen wird „Trauer“ damit schnell zu einem „krankhaften“ Phänomen erklärt. Menschen, die einen Verlust erlitten haben, kommen so in die Situation, dass schnell wieder alles „gut“ sein muss. Was gleichbedeutend ist, mit funktionieren, mit arbeitsfähig sein, den Alltag wieder auf die Reihe zu bekommen und einfach drüber weg zu leben.

In meiner Arbeit mit Angehörigen von Menschen mit Demenz ist das Thema „Trauer“ sogar noch schwieriger zu fassen.

Wann darf ich überhaupt anfangen um einen Menschen trauern? Der Abschiedsprozess von dem Menschen, den ich mal geliebt habe, setzt ja wohlmöglich schon viel früher, noch zu Lebzeiten, ein.

In meiner Praxis habe ich derzeit eine Frau, die im Moment darüber entscheiden muss, ob sie sich noch länger von ihrem Hausarzt krankschreiben lässt. Sie hatte den Eindruck, sie müsste sich, nach dem Tod ihrer Mutter, dem Hausarzt erklären, warum sie weiter arbeitsunfähig geschrieben werden sollte. Nun, da die Pflegesituation doch zu Ende ist.

Zu unserer Sitzung hatte sie einen Zettel mitgebracht auf dem sie im Querformat eine Kurve aufgemalt hatte. Die Kurve stellte einen Ablauf der Ereignisse seit Beginn des Jahres da und wie es ihr, in der wirklich dramatischen Situation, ergangen war. Sie schilderte mir, was sie dem Arzt darlegen wollte.

Im Anschluss wirkte sie verwundert, als ich sagte: „Ja! Und das ist die Kurve seit Beginn des Jahres, überlegen Sie mal, wie viele Blätter Sie noch davor hängen müssten, wenn Sie mir den Verlauf der Situation in den letzten vier Jahren deutlich machen wollen würden.“

Der Abschied von der Mutter, die Sorge um den Vater, Corona und das weiterlaufende, ganz alltägliche Familienleben:

Wie ich finde, hatte sie allen Grund erschöpft zu sein, traurig zu sein und einfach mal Zeit zu brauchen für das Sein.

Und das heißt gleichzeitig nicht, dass sie den ganzen Tag nur traurig sein MUSS, um die Krankschreibung auch zu rechtfertigen.

Denn es gibt sie ja, die Lichtstrahlen, die durch die Wolken brechen.

Die Momente, in denen die schönen Erinnerungen einem das Lächeln ins Gesicht zaubern.

Und glauben Sie mir, ich war nicht immer so nett mit mir selbst, das auch so zu sehen und meine eigene Traurigkeit auszuleben und ihr einen Platz in meinem Leben einzuräumen.

Schon als Kind ist mein großer Bruder verunglückt – eine Tatsache, die mir zwar bekannt war, aber lange Jahre keinen Raum in meinem Leben hatte, da es in meiner Familie diese Trauerkultur auch nicht gab.

Da hieß es, das Leben geht weiter!

Der Tod meines Bruders ist bereits mehr als 40 Jahre her und trotzdem gibt es Tage an denen ich meinen Bruder heute noch schmerzlich vermisse.

Keine Ahnung, wie unsere Beziehung heute wäre, was das Leben uns gebracht hätte.

Es ist mir auch egal, dass Trauer nach 40 Jahren scheinbar nicht in die „Trauerreaktionsnorm“ passt.

Heute nehme ich mir den Raum und ich habe Tage an denen bin ich traurig über den Verlust.

Manchmal bin ich auch traurig, dass mir und meiner Familie so ein Verlust widerfahren ist. Wie wäre das Leben anders gewesen, wenn meine Mutter und die Familie diesen Verlust nicht hätte erleben müssen? Wenn ich diesen Verlust nicht hätte erleben müssen?

Ein entscheidender Wendepunkt in meinem Leben war, Gefühle nicht mehr weghaben zu wollen.

Der Umgang mit meiner Trauer hat sich verändert. Sicher fühlt sich das nicht immer gut an und manchmal kommt die Traurigkeit in einem ganz unpassenden Moment, weil irgendwas im Außen mich erinnert.

Aber nach vielen Jahren des Trainings spült es mich nicht mehr weg, sondern ich kann Dinge machen, während ich traurig bin. Ich kann mir Raum dafür nehmen und dann entscheiden, wie ich jetzt gerade darauf reagieren will.

Ich habe durch das Achtsamkeitstraining eine stabile Beobachtungsposition in mir entwickelt.

Von dieser Position aus, kann ich wahrnehmen, was gerade ist, wie es mir gerade geht und dann entscheiden, wie ich damit umgehen will. Und das heißt nicht, dass ich jedem Gefühl immer gleich nachgeben muss.

Ich kämpfe aber eben auch nicht mehr gegen das Gefühl an. Verbanne die Trauer nicht länger in den Untergrund meiner Seele.

Das macht Energie frei!

Energie für das Leben im Hier und im Jetzt – mit all dem was sich zeigt – von Augenblick zu Augenblick.

Es gab Zeiten, in denen ich es nicht schaffte mich in meiner Trauerreaktion zu regulieren. Es war gut, Menschen an meiner Seite zu habe, die mich begleiten. Menschen, die den Raum halten. Den Rau, den es braucht, um diesem großen Gefühl zu begegnen.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie diese Menschen in Ihrem Leben haben, die den Raum für Sie halten.

Falls Sie sich Unterstützung wünschen, bin ich gerne an Ihrer Seite als achtsame Begleiterin!

 

Dieser Beitrag als Podcast zum Anhören für Sie

von Silke Steinke

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